Wenn man den Medien zuhört und sich ein wenig in der Bubble bewegt, könnte man meinen, Künstliche Intelligenz sei die grösste Revolution seit der Dampfmaschine.
Ein Gamechanger! Ein Heilsbringer! Ein Tsunami, der alles wegspült und disruptiert was sich ihm in den Weg stellt.
Aber seien wir doch einmal ganz ehrlich mit uns: Das ist ein Irrtum.
KI ist eine Tech-Evolution, mehr nicht in erster Linie. Doch sie ist vielmehr ein Weckruf. Ein Weckruf als Peitsche, die uns zeigt, wo wir in Sachen digitale Transformation über Jahre geschlafen haben.
Digitalisierung ist nicht Transformation
Fangen wir mit einem Missverständnis an, das besonders in der Schweiz weit verbreitet ist: Digitalisierung, Prozessoptimierung und Transformation werden oft in einen Topf geworfen.
Das mag nun wie eine Spitzfindigkeit von jemandem aus dem Elfenbeinturm klingen, ist aber entscheidend für die Praxis.
Versuchen wir uns an einer Abgrenzung der Begrifflichkeit:
Digitalisierung (digitization): Ein analoges Dokument wird zu einer PDF.
Digitalisierung im weiteren Sinne (digitalization): Ein manueller Prozess wird digital abgebildet, zum Beispiel Rechnungen per ERP-System.
Digitale Transformation: Ein Unternehmen denkt sein Geschäftsmodell neu, nutzt Technologie, um völlig neue Werte für Kunden zu schaffen.
Das Problem: Viele Schweizer Unternehmen verwechseln die zweite Stufe (Digitalisierung im weiteren Sinne) mit der dritten und rufen die digitale Transformation aus. Sie haben ein CRM in der Cloud, eine neue Website, vielleicht sogar eine App und haken das Thema danach wieder ab.
Aber echte Transformation? Neue Geschäftsmodelle? Kultureller Wandel? Fehlanzeige.
Eine grosse Studie von swissICT hat es klar gezeigt: Zwei Drittel der Schweizer Unternehmen haben eine deutliche Maturitätslücke. Ihr digitaler Status quo und ihre digitale Ambition klaffen weit auseinander. In diese Ausgangslage fällt KI hinein.
KI als Brennglas
KI macht also sichtbar, was wir nicht sehen wollten.
Wer gute Daten hat, profitiert von KI! Denn plötzlich lassen sich Kundenbedürfnisse besser prognostizieren, Prozesse automatisieren, Angebote personalisieren.
Wer schlechte Daten hat, erlebt ein Fiasko, weil KI nur das Chaos verstärkt, das schon da ist. ChatGPT versinkt im Meer aus Unordnung.
KI ist wie ein Brennglas. Sie vergrössert das, was vorhanden ist.
Ordnung wird effizienter, Unordnung noch sichtbarer.
Und genau deshalb ist sie kein Heilsbringer. Wir müssen KI vielmehr als technologischen Treiber verstehen oder ansehen, der unsere digitale Ausgangslage hinterfragt.
Der Weckruf für Schweizer KMU
Für die grossen Player wie SBB oder Migros ist KI ein weiterer Baustein in einer langen Liste von Digitalprojekten. Aber seien wir ehrlich: Für Schweizer KMU, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden, ist KI etwas anderes.
Viele kleinere und mittlere Unternehmen haben in den letzten Jahren genau das gemacht, was naheliegend war: Sie haben Prozesse effizienter gestaltet. Rechnungen automatisiert. Eine Website mit Online-Shop gebaut. Vielleicht eine neue Buchhaltungssoftware eingeführt.
Daran ist nichts falsches sondern das alles ist gut und wichtig. Aber es ist eben nur Digitalisierung; nicht Transformation.
Nicht falsch verstehen, an der Digitalisierung liegt nichts falsches, doch für einen zukünftig fragmentierten Markt, zunehmende Individualisierung, wird es nicht komplett reichen. Denn es wird wichtiger werden, auf Signale schneller zu reagieren oder im besten Fall sogar die agierende Instanz zu sein.
Jetzt kommt KI.
Und plötzlich merken viele: Unsere Daten sind gar nicht sauber. Unsere Prozesse sind nicht integriert. Unsere Kultur ist nicht auf Lernen und Veränderung ausgelegt.
Das ist die bittere Pille, kann aber auch eine Chance darstellen.
Daten als Fundament
Ein Blick zur Migros zeigt, was Transformation wirklich bedeutet.
Migros hat nicht einfach einen Online-Shop aufgesetzt. Sie hat ein digitales Ökosystem gebaut: mit Plattformen wie iMpuls (Gesundheit), Famigros (Familie) und der massiven Nutzung von Kundendaten über das Cumulus-Programm.
Das ist nicht nur „mehr vom Gleichen“. Das ist ein völlig neuer Zugang zum Kunden. Mittels KI wird dieses Fundament dann noch verstärkt: Personalisierte Angebote, Empfehlungen in Echtzeit, intelligente Prognosen.
Das Signal für KMU: Transformation bedeutet nicht, alles auf einmal neu zu machen. Der Wichtigkeit halber wollen wir das nochmals wiederholen: Man muss nicht alles auf einmal neu machen! Aber!
Aber es bedeutet, das eigene Geschäftsmodell konsequent vom Kunden her neu zu denken! Und dann auch Daten als echten Rohstoff zu verstehen, der aus seinen Silos befreit werden muss.
Das KMU aus der Region
Nehmen wir ein klassisches Schweizer KMU, sagen wir eine Bäckerei in der Ostschweiz.
Fiktiv deshalb, weil es sich auch auf viele andere Bereiche ummünzen lässt und die Identifikation damit rasch möglich ist.
Was unsere Bäckerei bisher unternommen hat:
Sie haben ein Online-Bestellsystem für Firmenkunden gelauncht.
Zusätzlich haben sie in Digitale Kassen- und Abrechnungssysteme investiert.
Das ist Digitalisierung.
Was wäre nun der der nächste Schritt in Richtung Transformation?
KI für Nachfrageprognosen. Denn damit könnte bedient werden:
- Welche Brotsorten werden morgen nachgefragt?
- Welche Mengen reduzieren Food Waste?
- Wie lassen sich Lieferungen optimieren?
Das ist der Beginn der Transformation.
Weil die Bäckerei damit nicht nur effizienter arbeitet, sondern auch ihre Kundschaft besser versteht. Das neue Gold kann nun dadurch gehoben werden, dass man aus den vorhandenen Daten das bisherige Geschäftsmodell erweitern kann um neue Services (z. B. individualisierte Abo-Modelle für Büros oder Familien).
KI zwingt uns also, weiterzudenken. Dabei bitte nicht nur Tools einzusetzen, sondern hinterfragt eure Geschäftsmodelle.
Warum das gerade jetzt wichtig ist
Die Schweiz ist stolz auf ihre KMU-Kultur. Handwerk, Qualität, Kundennähe, das sind Markenzeichen.
Aber wir laufen Gefahr, von internationalen Playern abgehängt zu werden. Plattformen wie Amazon oder Zalando haben längst verstanden, dass Daten und KI die eigentliche Wertschöpfung antreiben. Auch wenn wir nicht alle reine E-Commerce-Plattformen oder Marktplätze sein wollen, so sollten wir doch den Innovationsgeist dahinter nicht unterschätzen und uns versuchen diesen als Inspiration zu betrachten.
Wenn Schweizer Unternehmen glauben, mit einem ERP-System sei die Transformation erledigt, dann verpassen sie irgendwann, was möglicherweise der Markt will oder was Technologie für den Markt plötzlich ermöglicht.
KI ist deshalb der Weckruf:
Nicht, macht alles neu.
Sondern: Schaut ehrlich hin und beginnt euch zu bewegen.
Was jetzt zählt
- Ehrlichkeit
Seid ehrlich: Wo habt ihr wirklich transformiert, und wo habt ihr nur digitalisiert? - Mut zu kleinen Experimenten
Fangt nicht gleich mit der grossen Strategie an. Probiert KI in einem klar abgegrenzten Bereich aus. - Daten als Basis
Ohne saubere Daten geht es nicht. Investiert in Datenqualität, bevor ihr grosse KI-Projekte startet. - Kultur
Ohne Offenheit, Lernbereitschaft und Fehlerkultur bleibt jede Technologie wirkungslos.


